Die Umsetzung eines Bundesgerichtsentscheids vom Januar 2011 hat in
den vergangenen Monaten für einige Unruhe unter den Steuerberatern und
Steuerpflichtigen gesorgt. Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV)
hat diesen Entscheid zum Anlass genommen, um in einer nicht sehr
prominent bekannt gemachten Praxisänderung die formellen Anforderungen
für die Deklaration der Verrechnungssteuer im Meldeverfahren zu
verschärfen.
Der Bundesgerichtsentscheid vom 19. Januar 2011 (BGer 2C_756/2010)
behandelte den Fall einer im Kanton Zürich ansässigen Gesellschaft und
ihrer irländischen Mutter. Im Juni 2007 beschloss die Schweizer
Gesellschaft eine Dividende über 14 Mio. Franken für das vorangegangene
Geschäftsjahr. Sie reichte 7 Tage vor Fälligkeit der Dividende im
September 2007 das Gesuch um Meldeverfahren bei der ESTV ein. Die ESTV
lehnte dieses Gesuch in einem ersten Schritt ab und während den
nachfolgenden Verhandlungen über die Bewilligung des Meldeverfahrens
wurden weder das Deklarationsformular noch das Meldeformular für die
Zwecke der Verrechnungssteuer bei der ESTV eingereicht; dies geschah
erst im November 2008. Im Wesentlichen kam das Bundesgericht zum
Schluss, dass es sich bei der 30-tägigen Frist zur Einreichung der
notwendigen Verrechnungssteuerformulare um eine Verwirkungsfrist handle.
Mehr dazu in den nachfolgenden Ausführungen.
Die Verrechnungssteuer als Sicherungssteuer
Bekanntlich ist auf einer Dividendenzahlung in der Schweiz eine
Verrechnungssteuer von 35% geschuldet. Der Aktionär kann die ihm
belastete Verrechnungssteuer bei Vorliegen der entsprechenden
Voraussetzungen ganz oder teilweise zurückfordern. Von einer Entrichtung
der Verrechnungssteuer kann bei Dividenden aus wesentlichen
Beteiligungen im Konzernverhältnis, also zwischen zwei Gesellschaften,
abgesehen werden, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind. Im
innerstaatlichen Verhältnis kann in diesem Fall die Verrechnungssteuer
gemeldet statt entrichtet werden. Im internationalen Verhältnis richtet
sich die Möglichkeit der Meldung statt Entrichtung der
Verrechnungssteuer entweder nach dem entsprechenden
Doppelbesteuerungsabkommen oder dem Zinsbesteuerungsabkommen mit der
Europäischen Union.
Praxisverschärfung im Einzelnen
Die Deklaration der Verrechnungssteuer im Meldeverfahren muss in allen
Fällen zwingend innerhalb von 30 Tagen nach der Fälligkeit der Dividende
erfolgen. Wie einleitend erwähnt, prüft die ESTV seit kurzem die
Einhaltung dieser Frist konsequent. Im innerstaatlichen Verhältnis muss
die Meldung innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit mit den
entsprechenden Formularen erfolgen. Das Meldeverfahren im
internationalen Verhältnis setzt voraus, dass eine Bewilligung der ESTV
zur Meldung vorliegt. Diese Bewilligung ist jeweils für drei Jahre
gültig – vorausgesetzt der Sachverhalt bleibt unverändert – und muss
danach erneuert werden.
Wird die Frist verpasst, ist das Recht auf die Beanspruchung des
Meldeverfahrens verwirkt. In diesem Fall muss die Verrechnungssteuer
abgeführt und vom Aktionär wieder zurückgefordert werden. Zudem ist ein
Verzugszins von 5% ab dem dreissigsten Tage nach Fälligkeit der
Dividende bis zur Zahlung geschuldet. Weiter kann die ESTV wegen
Missachtung der Frist eine Busse aussprechen.
Die möglichen Auswirkungen im Einzelfall
Stellen wir uns vor diesem Hintergrund folgenden Fall vor: Eine in der
Schweiz steuerpflichtige Gesellschaft wird zu 100% von einer in
Deutschland ansässigen Muttergesellschaft gehalten. Die Bewilligung der
ESTV zur Meldung der Verrechnungssteuer auf Dividenden an die Deutsche
Muttergesellschaft wurde bereits anfangs 2009 erteilt. Somit liegt aus
Sicht des Steuerpflichtigen das inhaltlich wichtigste Dokument vor,
nämlich die Bestätigung der ESTV, dass im konkreten Fall entweder
Doppelbesteuerungsabkommen oder Zinsbesteuerungsabkommen Anwendung
finden.
Für die Schweizer Gesellschaft bedeutet dies, dass sie die Dividende
ohne Abzug der Verrechnungssteuer an ihre Aktionärin auszahlen darf.
Dies ist auch im vorliegenden Fall geschehen. Gestützt auf die
Bewilligung zur Meldung hat die Gesellschaft in den Jahren 2009 und 2010
die Dividenden jeweils ungekürzt um die Schweizer Verrechnungssteuer
ausbezahlt. Der Haken an der Sache: Sowohl Deklaration der
Verrechnungssteuer wie auch die Meldung gingen vergessen. Da in vielen
Europäischen Ländern eine separate Deklaration und Meldung nicht mehr
notwendig ist, wenn eine Bewilligung zur Meldung vorliegt, war sich die
Steuerpflichtige ihrer Deklarationspflichten schlicht nicht bewusst.
Die ESTV stellte diesen Umstand anlässlich einer Revision fest. Früher
hätte sie eine unkomplizierte Nachreichung der entsprechenden
Deklarations- und Meldeformulare erlaubt, schliesslich war die
entsprechende Bewilligung schon vorhanden. Und heute? Aufgrund der
Praxisänderung droht die Erhebung der Verrechnungssteuer von 35% auf den
in den Jahren 2009 und 2010 entrichteten Dividenden. Dazu kommen die
Verzugszinsen sowie eine Busse. Auch wenn die Verrechnungssteuer von der
ESTV zurückerstattet wird, kann der cash-out signifikant sein. Zudem
sind allein die Verzugszinsfolgen erheblich. Beispielsweise kann der
jährliche Verzugszins bei einer Dividende von 10 Mio. Franken schon
175‘000 Franken betragen (5% des Verrechnungssteuerbetrags von 3.5
Mio.). Und dies bei einem Sachverhalt, in welchem die ESTV aufgrund des
– bereits bewilligten – Meldeverfahrens eigentlich nie einen Franken
hätte erhalten sollen.
|