Region Basel / Beiträge 2012
  
 

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Claire Manders Avanzini



Eidg. dipl. Steuerexpertin
Senior Manager Steuerberatung
PricewaterhouseCoopers AG, Basel
Mitglied der Treuhand-Kammer
claire.manders.avanzini@ch.pwc.com
 

 

 

    

  Ein Bundesgerichtsentscheid und seine Folgen

Der neue Hunger der Verrechnungssteuer

 

 
 

Die Umsetzung eines Bundesgerichtsentscheids vom Januar 2011 hat in den vergangenen Monaten für einige Unruhe unter den Steuerberatern und Steuerpflichtigen gesorgt. Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) hat diesen Entscheid zum Anlass genommen, um in einer nicht sehr prominent bekannt gemachten Praxisänderung die formellen Anforderungen für die Deklaration der Verrechnungssteuer im Meldeverfahren zu verschärfen.

Der Bundesgerichtsentscheid vom 19. Januar 2011 (BGer 2C_756/2010) behandelte den Fall einer im Kanton Zürich ansässigen Gesellschaft und ihrer irländischen Mutter. Im Juni 2007 beschloss die Schweizer Gesellschaft eine Dividende über 14 Mio.  Franken für das vorangegangene Geschäftsjahr. Sie reichte 7 Tage vor Fälligkeit der Dividende im September 2007 das Gesuch um Meldeverfahren bei der ESTV ein. Die ESTV lehnte dieses Gesuch in einem ersten Schritt ab und während den nachfolgenden Verhandlungen über die Bewilligung des Meldeverfahrens wurden weder das Deklarationsformular noch das Meldeformular für die Zwecke der Verrechnungssteuer bei der ESTV eingereicht; dies geschah erst im November 2008. Im Wesentlichen kam das Bundesgericht zum Schluss, dass es sich bei der 30-tägigen Frist zur Einreichung der notwendigen Verrechnungssteuerformulare um eine Verwirkungsfrist handle. Mehr dazu in den nachfolgenden Ausführungen.

Die Verrechnungssteuer als Sicherungssteuer

Bekanntlich ist auf einer Dividendenzahlung in der Schweiz eine Verrechnungssteuer von 35% geschuldet. Der Aktionär kann die ihm belastete Verrechnungssteuer bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen ganz oder teilweise zurückfordern. Von einer Entrichtung der Verrechnungssteuer kann bei Dividenden aus wesentlichen Beteiligungen im Konzernverhältnis, also zwischen zwei Gesellschaften, abgesehen werden, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind. Im innerstaatlichen Verhältnis kann in diesem Fall die Verrechnungssteuer gemeldet statt entrichtet werden. Im internationalen Verhältnis richtet sich die Möglichkeit der Meldung statt Entrichtung der Verrechnungssteuer entweder nach dem entsprechenden Doppelbesteuerungsabkommen oder dem Zinsbesteuerungsabkommen mit der Europäischen Union.

Praxisverschärfung im Einzelnen

Die Deklaration der Verrechnungssteuer im Meldeverfahren muss in allen Fällen zwingend innerhalb von 30 Tagen nach der Fälligkeit der Dividende erfolgen. Wie einleitend erwähnt, prüft die ESTV seit kurzem die Einhaltung dieser Frist konsequent. Im innerstaatlichen Verhältnis muss die Meldung innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit mit den entsprechenden Formularen erfolgen. Das Meldeverfahren im internationalen Verhältnis setzt voraus, dass eine Bewilligung der ESTV zur Meldung vorliegt. Diese Bewilligung ist jeweils für drei Jahre gültig – vorausgesetzt der Sachverhalt bleibt unverändert – und muss danach erneuert werden.

Wird die Frist verpasst, ist das Recht auf die Beanspruchung des Meldeverfahrens verwirkt. In diesem Fall muss die Verrechnungssteuer abgeführt und vom Aktionär wieder zurückgefordert werden. Zudem ist ein Verzugszins von 5% ab dem dreissigsten Tage nach Fälligkeit der Dividende bis zur Zahlung geschuldet. Weiter kann die ESTV wegen Missachtung der Frist eine Busse aussprechen.

Die möglichen Auswirkungen im Einzelfall

Stellen wir uns vor diesem Hintergrund folgenden Fall vor: Eine in der Schweiz steuerpflichtige Gesellschaft wird zu 100% von einer in Deutschland ansässigen Muttergesellschaft gehalten. Die Bewilligung der ESTV zur Meldung der Verrechnungssteuer auf Dividenden an die Deutsche Muttergesellschaft wurde bereits anfangs 2009 erteilt. Somit liegt aus Sicht des Steuerpflichtigen das inhaltlich wichtigste Dokument vor, nämlich die Bestätigung der ESTV, dass im konkreten Fall entweder Doppelbesteuerungsabkommen oder Zinsbesteuerungsabkommen Anwendung finden.

Für die Schweizer Gesellschaft bedeutet dies, dass sie die Dividende ohne Abzug der Verrechnungssteuer an ihre Aktionärin auszahlen darf. Dies ist auch im vorliegenden Fall geschehen. Gestützt auf die Bewilligung zur Meldung hat die Gesellschaft in den Jahren 2009 und 2010 die Dividenden jeweils ungekürzt um die Schweizer Verrechnungssteuer ausbezahlt. Der Haken an der Sache: Sowohl Deklaration der Verrechnungssteuer wie auch die Meldung gingen vergessen. Da in vielen Europäischen Ländern eine separate Deklaration und Meldung nicht mehr notwendig ist, wenn eine Bewilligung zur Meldung vorliegt, war sich die Steuerpflichtige ihrer Deklarationspflichten schlicht nicht bewusst.

Die ESTV stellte diesen Umstand anlässlich einer Revision fest.  Früher hätte sie eine unkomplizierte Nachreichung der entsprechenden Deklarations- und Meldeformulare erlaubt, schliesslich war die entsprechende Bewilligung schon vorhanden. Und heute? Aufgrund der Praxisänderung droht die Erhebung der Verrechnungssteuer von 35% auf den in den Jahren 2009 und 2010 entrichteten Dividenden. Dazu kommen die Verzugszinsen sowie eine Busse. Auch wenn die Verrechnungssteuer von der ESTV zurückerstattet wird, kann der cash-out signifikant sein. Zudem sind allein die Verzugszinsfolgen erheblich. Beispielsweise kann der jährliche Verzugszins bei einer Dividende von 10 Mio. Franken schon 175‘000 Franken betragen (5% des Verrechnungssteuerbetrags von 3.5 Mio.). Und dies bei einem Sachverhalt, in welchem die ESTV aufgrund des – bereits bewilligten – Meldeverfahrens eigentlich nie einen Franken hätte erhalten sollen.