Region Basel / Beiträge 2013
  
 

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Nicolas Streicher

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Wirtschafts-Treuhand AG
Dipl. Wirtschaftsprüfer
Zugelassener Revisionsexperte
Mitglied der Treuhand-Kammer
Email: nicolas.streicher@wirtschafts-treuhand.ch
 

 

 

    

 

Rechnungslegungsrecht mit erweiterten Ausnahmen

Die Milchbüchlein-Rechnung im Praxistest

Auf den 1. Januar 2013 ist das neue Rechnungslegungsrecht mit einer Übergangsfrist von zwei bis drei Jahren in Kraft getreten. Ein bestimmter Anwenderkreis wird explizit von den neuen gesetzlichen Bestimmungen befreit, muss aber stattdessen die sogenannte „Milchbüchlein-Rechnung“ erstellen. Dazu ergeben sich in der Praxis einige Fragen.

Der Kreis jener, die nicht dem neuen Rechnungslegungsrecht unterstellt sind, wird im Gesetz folgendermassen definiert: „Einzelunternehmen und Personengesellschaften mit weniger als 500'000 Franken Umsatz pro Geschäftsjahr, Vereine und Stiftungen, die sich nicht ins Handelsregister eintragen lassen müssen sowie nicht-revisionspflichtige Stiftungen“. Auffallend ist bei dieser Abgrenzung, dass bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften der Umsatz als massgebende Grösse ausschlaggebend ist, bei Vereinen und Stiftungen jedoch, ob sie sich in das Handelsregister eintragen lassen müssen bzw. ob die Stiftung einer Revisionspflicht unterliegt. Komplett ausgeschlossen ist die Anwendung der Milchbüchlein-Rechnung bei den juristischen Personen in Form einer AG oder GmbH. So hat eine „Ein-Personen-GmbH“ auch mit einem Umsatz unter 500'000 Franken die vollen Bestimmungen des neuen Rechnungslegungsrechts anzuwenden.

Wie sieht eine Milchbüchlein-Rechnung aus?

Zur Ausgestaltung des Rechnungswesens für den definierten Anwenderkreis sieht der Gesetzgeber folgende Bestimmungen vor:

  •  Die Grundsätze der ordnungsmässigen Buchführungen gelten auch für die Milchbüchlein-Rechnung. Über relevante Geschäftsvorfälle sind systematisch, vollständig und wahrheitsgetreu Aufzeichnungen vorzunehmen. Weiter ist zwecks Nachprüfbarkeit für jeden Eintrag ein Belegnachweis erforderlich. Dieser kann schriftlich oder in elektronischer Form erfolgen. Zu den heutigen Bestimmungen sind hier keine wesentlichen Änderungen erkennbar. 

  • Die Buchführung kann vereinfachend vorgenommen werden. Eine einfache Buchführung genügt – es wird keine doppelte Buchhaltung verlangt. Der Gesetzgeber bringt dies mit folgender Formulierung zum Ausdruck: „Lediglich über die Einnahmen und Ausgaben sowie über die Vermögenslage muss Buch geführt werden.“

Wo liegen die Vorteile?

Der grosse Vorteil der Milchbüchlein-Rechnung liegt in ihrer Einfachheit. Das Führen der Einnahmen-/Ausgabenrechnung kann mittels Journal vorgenommen werden. Eine Spalte für Einnahmen und eine für Ausgaben sollte den gesetzlichen Bestimmungen genügen. Als Hilfe können beispielsweise Bankauszüge dienen. Zeitliche und sachliche Abgrenzungen sind nicht vorzunehmen. Einnahmen und Ausgaben werden bei der Zahlung erfasst und somit zu diesem Zeitpunkt realisiert. Auch die Aufnahme der Vermögenslage kann mittels geeigneter Unterlagen wie Auszüge, Karteikarten, Listen etc. erfolgen.

Was spricht dagegen?

Der Gesetzgeber hat weder definiert, was unter Vermögen zu verstehen ist, noch wie das Vermögen zu bewerten ist. Hier muss die Praxis Abhilfe schaffen. Mit Vermögen ist wohl das Nettovermögen gemeint, also die dem Geschäft zurechenbaren Vermögenswerte abzüglich Verbindlichkeiten per Stichtag. Die Herausforderung für die Praxis liegt in der Bewertung des Vermögens. Ist der jeweilige Tageskurs massgebend? Ist von fortgeführten Anschaffungswerten auszugehen? Andere Bewertungsmethoden? Sinnvoll ist es hier wohl, sich an die Bestimmungen der ordentlichen Buchführungspflicht anzulehnen, was aber wiederum Fachwissen verlangt und somit dem Gedanken der Erleichterung entgegensteht.

Weiter stellt sich die Frage, wie dem Wertverzehr auf dem Anlagevermögen Rechnung getragen werden kann. In der Einnahmen-/Ausgabenrechnung können ja nur geldmässige Zu- und Abflüsse erfasst werden. Abschreibungen, Wertberichtigungen oder Rückstellungen können in der einfachen Buchhaltung nicht erfasst werden. Somit wäre beispielsweise der Kauf eines betrieblichen Autos zum Zeitpunkt der Zahlung als Ausgabe und somit vollständig in diesem Jahr als Aufwand zu erfassen. An diesem Punkt sind wir bei einem weiteren Spannungsfeld angelangt – den Überschneidungen mit den gesetzlichen Bestimmungen des Steuerrechts.

In den Verhandlungen im Nationalrat zur Ausarbeitung des neuen Rechnungslegungsrechts ist von Frau Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf folgende Aussage vom 20.9.2010 beispielhaft: „Es ist davon auszugehen, dass die Steuerbehörden mehr als eine Milchbüchlein-Rechnung verlangen werden. In diesem Sinne liegt mit der Anhebung der Schwelle auf 500'000 Franken nur eine Scheinerleichterung für KMU vor“.

Ein weiterer Nachteil der Milchbüchlein-Rechnung besteht darin, dass keine Bilanz vorliegt und das Eigenkapital eines Vereins oder einer Stiftung sowie das Privat- und Kapitalkonto der Gesellschaft(er) in einer Nebenrechnung hergeleitet werden müssen.

Schlussfolgerung

Die Ausgestaltung des Rechnungswesens ist in jedem Fall individuell zu betrachten und der Grösse und Komplexität des Unternehmens sowie den Informationsbedürfnissen der Adressaten anzupassen. Die Anwendung der Milchbüchlein-Rechnung dürfte in der Praxis nur bei einfachsten Verhältnissen und nicht-steuerpflichtigen Vereinen und Stiftungen einfach umsetzbar sein.