Rechnungslegungsrecht mit erweiterten
Ausnahmen
Die
Milchbüchlein-Rechnung im Praxistest
Auf den 1. Januar 2013 ist das neue
Rechnungslegungsrecht mit einer Übergangsfrist von zwei bis drei Jahren
in Kraft getreten. Ein bestimmter Anwenderkreis wird explizit von den
neuen gesetzlichen Bestimmungen befreit, muss aber stattdessen die
sogenannte „Milchbüchlein-Rechnung“ erstellen. Dazu ergeben sich in der
Praxis einige Fragen.
Der Kreis jener, die nicht dem neuen
Rechnungslegungsrecht unterstellt sind, wird im Gesetz folgendermassen
definiert: „Einzelunternehmen und Personengesellschaften mit weniger als
500'000 Franken Umsatz pro Geschäftsjahr, Vereine und Stiftungen, die
sich nicht ins Handelsregister eintragen lassen müssen sowie
nicht-revisionspflichtige Stiftungen“. Auffallend ist bei dieser
Abgrenzung, dass bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften der
Umsatz als massgebende Grösse ausschlaggebend ist, bei Vereinen und
Stiftungen jedoch, ob sie sich in das Handelsregister eintragen lassen
müssen bzw. ob die Stiftung einer Revisionspflicht unterliegt. Komplett
ausgeschlossen ist die Anwendung der Milchbüchlein-Rechnung bei den
juristischen Personen in Form einer AG oder GmbH. So hat eine „Ein-Personen-GmbH“
auch mit einem Umsatz unter 500'000 Franken die vollen Bestimmungen des
neuen Rechnungslegungsrechts anzuwenden.
Wie sieht eine Milchbüchlein-Rechnung
aus?
Zur Ausgestaltung des Rechnungswesens für
den definierten Anwenderkreis sieht der Gesetzgeber folgende
Bestimmungen vor:
-
Die Grundsätze der ordnungsmässigen
Buchführungen gelten auch für die Milchbüchlein-Rechnung. Über
relevante Geschäftsvorfälle sind systematisch, vollständig und
wahrheitsgetreu Aufzeichnungen vorzunehmen. Weiter ist zwecks
Nachprüfbarkeit für jeden Eintrag ein Belegnachweis erforderlich.
Dieser kann schriftlich oder in elektronischer Form erfolgen. Zu den
heutigen Bestimmungen sind hier keine wesentlichen Änderungen
erkennbar.
-
Die Buchführung kann vereinfachend
vorgenommen werden. Eine einfache Buchführung genügt – es wird keine
doppelte Buchhaltung verlangt. Der Gesetzgeber bringt dies mit
folgender Formulierung zum Ausdruck: „Lediglich über die Einnahmen
und Ausgaben sowie über die Vermögenslage muss Buch geführt werden.“
Wo liegen die Vorteile?
Der grosse Vorteil der
Milchbüchlein-Rechnung liegt in ihrer Einfachheit. Das Führen der
Einnahmen-/Ausgabenrechnung kann mittels Journal vorgenommen werden.
Eine Spalte für Einnahmen und eine für Ausgaben sollte den gesetzlichen
Bestimmungen genügen. Als Hilfe können beispielsweise Bankauszüge
dienen. Zeitliche und sachliche Abgrenzungen sind nicht vorzunehmen.
Einnahmen und Ausgaben werden bei der Zahlung erfasst und somit zu
diesem Zeitpunkt realisiert. Auch die Aufnahme der Vermögenslage kann
mittels geeigneter Unterlagen wie Auszüge, Karteikarten, Listen etc.
erfolgen.
Was spricht dagegen?
Der Gesetzgeber hat weder definiert, was
unter Vermögen zu verstehen ist, noch wie das Vermögen zu bewerten ist.
Hier muss die Praxis Abhilfe schaffen. Mit Vermögen ist wohl das
Nettovermögen gemeint, also die dem Geschäft zurechenbaren
Vermögenswerte abzüglich Verbindlichkeiten per Stichtag. Die
Herausforderung für die Praxis liegt in der Bewertung des Vermögens. Ist
der jeweilige Tageskurs massgebend? Ist von fortgeführten
Anschaffungswerten auszugehen? Andere Bewertungsmethoden? Sinnvoll ist
es hier wohl, sich an die Bestimmungen der ordentlichen
Buchführungspflicht anzulehnen, was aber wiederum Fachwissen verlangt
und somit dem Gedanken der Erleichterung entgegensteht.
Weiter stellt sich die Frage, wie dem
Wertverzehr auf dem Anlagevermögen Rechnung getragen werden kann. In der
Einnahmen-/Ausgabenrechnung können ja nur geldmässige Zu- und Abflüsse
erfasst werden. Abschreibungen, Wertberichtigungen oder Rückstellungen
können in der einfachen Buchhaltung nicht erfasst werden. Somit wäre
beispielsweise der Kauf eines betrieblichen Autos zum Zeitpunkt der
Zahlung als Ausgabe und somit vollständig in diesem Jahr als Aufwand zu
erfassen. An diesem Punkt sind wir bei einem weiteren Spannungsfeld
angelangt – den Überschneidungen mit den gesetzlichen Bestimmungen des
Steuerrechts.
In den Verhandlungen im Nationalrat zur
Ausarbeitung des neuen Rechnungslegungsrechts ist von Frau Bundesrätin
Eveline Widmer-Schlumpf folgende Aussage vom 20.9.2010 beispielhaft: „Es
ist davon auszugehen, dass die Steuerbehörden mehr als eine
Milchbüchlein-Rechnung verlangen werden. In diesem Sinne liegt mit der
Anhebung der Schwelle auf 500'000 Franken nur eine Scheinerleichterung
für KMU vor“.
Ein weiterer Nachteil der
Milchbüchlein-Rechnung besteht darin, dass keine Bilanz vorliegt und das
Eigenkapital eines Vereins oder einer Stiftung sowie das Privat- und
Kapitalkonto der Gesellschaft(er) in einer Nebenrechnung hergeleitet
werden müssen.
Schlussfolgerung
Die Ausgestaltung des Rechnungswesens ist in
jedem Fall individuell zu betrachten und der Grösse und Komplexität des
Unternehmens sowie den Informationsbedürfnissen der Adressaten
anzupassen. Die Anwendung der Milchbüchlein-Rechnung dürfte in der
Praxis nur bei einfachsten Verhältnissen und nicht-steuerpflichtigen
Vereinen und Stiftungen einfach umsetzbar sein.
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